Auf dem Gaswerk-Gelände entstand ein inklusiver Kunstpfad (Kunstweg). Kunst ist so etwas wie Arbeit. Mehrere Personen arbeiten zu einem Thema und zeigen ihre Arbeiten. Das Thema vom Kunstpfad am Gaswerk ist: Ich sorge für dich (i care for you).
Inklusion bedeutet, dass alle mitmachen können. Das ist ein schöner Traum. Ein Kunstweg für alle Menschen. Das ist schwierig, weil die Menschen die unterschiedlichsten Bedürfnisse haben. Nicht alle Bedarfe kann man gleichzeitig immer erfüllen. Inklusion ist ein Auftrag an die Gesellschaft, der nie ganz gelingt. Es ist ein Versuch und ein Wachsen. Beim Kunstpfad am Gaswerk können viele Menschen selbstständig und eigenständig teilhaben. Oder sie haben einen Helfer dabei.
Besonders gut teilnehmen können sehende, blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderung. Die Künstler:innen haben versucht die Bedarfe der Menschen mit Sehbehinderung zu erfüllen. Mit einem Plan vom Gaswerkgelände zum Tasten können sich blinde Menschen die Umgebung besser vorstellen. Bilder werden besonders beschrieben. Hörstationen, die man mit einem Quickreader Zeichen auf dem Handy öffnen und hören kann, machen Bilder und die Umgebung besser vorstellbar. Es ist ein Kunstpfad für alle Sinne. Sehen, hören, tasten. Riechen und schmecken kann man verschiedene Kräuter auf dem Weg durch den Gaswerkpark. Dort ist der Kunstpfad mit seinen fünf Stationen zu finden.
Am Sonntag, 25. Juli war die Eröffnung. Der Verein Pareaz e.V., die Blindenseelsorge des Bistums, das Friedensbüro und Künstler:innen haben Gäst:innen eingeladen. Ungefähr 30 Leute kamen zum Gaswerkgelände. Es waren einige blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderung dabei, sogar ein Führhund. Die Gäst:innen, Künstler:innen und Veranstalter:innen gingen von Station zu Station. Susanne Thoma begrüßt die Menschen beim Portalgebäude und heißt sie herzlich willkommen. Sie erzählt vom Kunstpfad.
Die erste Station heißt: Gasius, Schutzpatron im Gaswerk. Ein blinder Künstler macht Kunst im Dunkeln (www.artinthedark.de). Er liest gerne und sehr gut in Blindenschrift vor. Der Künstler heißt Wolfgang Böhme. Zuhörer:innen können eine Dunkelbrille aufsetzen. Mit der Dunkelbrille können sie ein bisschen wie blinde Menschen hören und spüren. Wolfgang Böhme steht an einem Stehpult auf einem Steg im Gaskessel. Wolfgang Böhme erzählt, wie Gasius, der Schutzpatron des Gaswerkes für die Arbeiter früher wichtig war. Die Arbeiter im Gaswerk brauchten seine Fürsorge. Sie baten um seinen Schutz und seine Fürsorge. Im Krieg wurde ein Gebäude beschädigt und ganz schnell wieder repariert. Gasius kann man auch heute noch im Frühjahr als Schattenfigur am Teleskopbehälter sehen. Hören konnte man Gasius am Sonntag mit der beeindruckenden Stimme von Wolfgang Böhme. Wolfgang spricht langsam, laut und deutlich: Ich bin Gasius. Der Gaskessel ist riesig und sehr hoch. Der Gaskessel hat einen guten Klang und guten Schall. Die Zuhörer:innen hören gut und freuen sich. Neben Wolfgang Böhme steht ein Mann. Er ist ein Helfer. Wenn Wolfgang Böhme Unterstützung braucht, ist er da. Der Helfer heißt Assistent und sorgt dafür, dass der blinde Mensch gut leben kann. Er hilft nur da, wo der blinde Mensch sein Leben nicht selbstständig führen kann. Der Assistent führt Wolfgang Böhme über den schmalen Steg aus dem Gaskessel.
Alle Menschen brauchen Für-Sorge. Hilfe und Unterstützung auf unterschiedlichste Art. Die Arbeiter im Gaswerk früher genauso wie blinde Menschen heute. Wie kann das Leben von Menschen gut gelingen?
Carolin Aumann alias Lina Mann öffnet einen Koffer, auf dem steht: Fürsorge (Take care). Was ist drin? Zeichen für Gegenstände, Menschen, die blinde Menschen für ein gutes Leben brauchen: Menschenrechte. UN-Behindertenrechtskonvention, Computer und Smartphone, Hilfsmittel, Blindenschrift, Pläne zum Tasten, Musik, gute Vorleser, Mut, Freunde, Humor, Familie, gute Helfer (Assistenten). Was gehört noch in den Koffer? Jeder kann noch etwas dazu legen, deshalb gibt es weiß Blätter im Koffer. Ob das Leben von blinden und sehbehinderten Menschen gelingt, wenn der Koffer gut gepackt ist, hängt auch vom Glück, dem Schicksal, vielen Dingen und der Selbstfürsorge ab.
Die Besucher:innen des Kunstpfades entdecken bei der zweiten Station Blaudrucke. Fotos wurden auf Leinenstoff übertragen und blau gefärbt. Das ist eine besondere Arbeit. Die fertigen Stoffe wurden sanft um acht Bäume gelegt und an Ösen mit Gummihaltern an den Baumstümpfen befestigt. Sehende Menschen haben die Ausstellung im Freien mit eigenen Worten beschrieben. Bäume und Drucke sind eins. Menschen mit Sehbehinderung können über ihr Handy und Quickreader-Zeichen Hör-Datei abrufen und Audiodeskriptionen (Bildbeschreibungen) von Claudia Böhme hören. Claudia Böhme ist blind und Expertin für Bildbeschreibungen. Zusammen mit Unterstützer:innen findet sie Worte, wie Unsichtbares für blinde Menschen durch sehr genaue Beschreibung sichtbar werden kann. Claudia Böhme hilft anderen blinden Menschen, dass sie sich besser vorstellen können, was sie nicht sehen. Vorstellungskraft anderer blinder Menschen. Die beschreibt Fotos, Theaterstücke und Filme. Die Blaudrucke und die Bäume fügen sich gut in Natur und übriggebliebene Industriearchitektur, die Häuser um den Park ein.
Die Gruppe spaziert zu den Stationen drei und vier: Shelter I und Shelter II (Shelter heißt Unterschlupf): Auf dem Gaswerkgelände gibt es einige Luftschutzräume. Die Räume, die Bunker heißen, darf man heute nicht betreten. Im Krieg suchten die Gaswerksarbeiter dort Schutz. Manchmal gab es Luftangriffe während der Arbeit. Eine schlimme Erfahrung. Diese Erfahrung vergisst man nicht. Heute können die Besucher der Station diese Erfahrung schwer nachempfinden. Die Künstler helfen mit ihrer Station, dass die Besucher sich etwas in die Lage von damals hineinversetzen können. Eine Frau, die alles miterlebt hat, erzählt und berichtet in einem Film. Mit einer Art 3-D Brille und Hördateien können die Besucher erspüren, was damals Grausames geschah und wie die Menschen in den Räumen unter der Erde Schutz suchten.
Lost (verloren, untergegangen) heißt die fünfte Station. Die Künstlerin Stefanie Kraut hat den Grundriss, die Fläche des Schutzraumes mit Pfosten und Bändern nachgezeichnet. über dem Bunker ist heute eine Wiese. In die Wiese hat Stefanie Kraut die Buchstaben L O S T als Grasbuchstaben wachsen lassen. Damit das gelingen kann, braucht die Künstlerin Geduld, Abwarten und hoffen, dass es gut wird. Blumen am Rand der Bunkerwiese sind Zeichen der Verwandlung, der Hoffnung, dass sich das Schlimme mit der Zeit zum Guten wendet. Blinde Menschen können die Wiese erwandern, ertasten, schmecken, riechen und sogar hören, weil Claudia Böhme auch dazu eine genaue Beschreibung erstellen wird. Das Gras und die Wiese brauchen die Fürsorge von Stefanie Kraut und ihren Helfer:innen. Dann kann das Gras wachsen und die Buchstaben sichtbar werden. Das ist gelungen, weil Stefanie, Liebe, Leidenschaft und Können eingesetzt hat. Die Besucher:innen durften die Wiese betreten und den Schutzraum in seiner Größe erleben. Sauerampfer in der Wiese wurde gepflückt. Zum Abschluss gab es noch einen kleinen Imbiss für den Geschmackssinn. Mit Mohn, Sauerkraut, Kartoffeln, Tomaten und Petersilie gefüllte Schnecken sollten an einfache Speisen von früher erinnern. Den teilnehmenden Künstler:innen und Helfer:innen wurde als Dank eine Sonnenblume überreicht. Der Kunstpfad kann jetzt selbstständig besucht werden.